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Handbuch Digitale Teilhabe und Barrierefreiheit

Buch Handbuch Digitale Teilhabe und Barrierefreiheit

Dokument - Info:
  • Anspruch: vertiefen
  • Aufwand: über 15 Minuten
  • Zielgruppe: Management
Buchcover Handbuch digitale Teilhabe und Barrierefreiheit aus dem Verlag KSV Verwaltungspraxis

Das im Kommunal- und Schul-Verlag erschienene „Handbuch Digitale Teilhabe und Barrierefreiheit“ wird von Ulrike Peter und Prof. Hans-Henning Lühr herausgegeben und beinhaltet eine Sammlung von Praxisbeispielen vieler weiterer Autor*innen aus Bremen und darüber hinaus.

Das Handbuch gliedert sich in die vier Teile Einführung, rechtliche Grundlagen, Verwaltungsmodernisierung und Barrierefreiheit in der Praxis. Dabei zeichnet es sich durch einen engen Praxisbezug aus, der den Leser*innen konkrete Handlungshilfen zur Umsetzung der digitalen Teilhabe bietet.

Den Einstieg bildet ein Überblick über die Entwicklung der Rechtslage, vor dem Hintergrund der Entwicklung von der Fürsorge hin zu einer gleichberechtigten Teilhabe. Der Geltungsbereich der rechtlichen Regelungen wird mit einem detaillierten Blick auf die Definition öffentlicher Stellen beleuchtet, aber auch mit einem Ausblick auf die kommende Ausweitung auf die Privatwirtschaft betrachtet, wie zum Beispiel den Online-Handel. Trotz aller bestehender gesetzlicher Regelungen stellt einer der Autoren, Arne Frankenstein, dabei fest, dass „Recht [...] immer nur so stark wie seine Durchsetzung [ist]“. Entsprechende Instrumente und Ansätze zur Durchsetzung des geltenden Rechts werden im späteren Verlauf des Buches vorgestellt.

Auch auf diejenigen Erkenntnisse bei der Umsetzung barrierefreier digitaler Angebote, die sich inzwischen hoffentlich bei den Verantwortlichen herumgesprochen haben, wird kurz eingegangen:

  • dass Barrierefreiheit, wenn sie von Anfang an mitgedacht wird, die Umsetzungskosten nicht erhöht,
  • dass Barrierefreiheit nicht mit einer einmaligen Beschaffung oder Berücksichtigung bei der Entwicklung erledigt ist, sondern es eine „(Dauer-)Herausforderung“ ist, diesen Zustand nachhaltig sicherzustellen und
  • dass die Umsetzung gemäß der Idee des Universellen Designs nicht nur Menschen mit Behinderungen sondern allen Menschen nutzt.

Warum also noch ein Handbuch zum Thema? Weil die Umsetzung aus Sicht der Autor*innen nur gelingen kann, wenn Menschen mit Behinderungen als Expert*innen in eigener Sache einbezogen werden und dies auch in allen Prozessen fest verankert wird:

„Digitale Teilhabe und Barrierefreiheit erfordern einen Kulturwandel bei den Verwaltungsentscheidungen und den internen Prozessen. Die Entscheider*innen und Führungskräfte selbst und damit ihr konkretes Handeln sind gefordert. Digitale Teilhabe gelingt nur, wenn die Betroffenen zu Beteiligten werden und den Prozess der Digitalisierung aktiv mitgestalten.“

Eine Grundlage für die Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit bietet der Beitrag von Andreas Carstens, unter anderem mit einem detaillierten Einblick in die Vorschriften in den einzelnen Bundesländern und in deren Geltungsbereich.

Die neuen Instrumente zur Sicherstellung der Barrierefreiheit werden ausführlich erläutert:

  • Barrierefreiheitserklärung,
  • Feedback-Mechanismus,
  • Durchsetzungsverfahren und
  • das Monitoring durch die Überwachungsstellen.

Ergänzt wird dies durch einen Überblick zu Gesetzen im Bereich:

  • des eGovernment,
  • der eJustice und
  • der eHealth.

Auch die Besonderheiten elektronischer Akten und elektronischer Vorgangsbearbeitung, sowie die Möglichkeiten der Berücksichtigung bei Beschaffung und Vergabe werden aufgezeigt.

Die zukünftigen Verpflichtungen der Privatwirtschaft werden in einem Beitrag von Dr. Joachim Steinbrück dargestellt, indem auf den Geltungsbereich des „European Accessibility Act (EAA)“, dessen Lücken und die Herausforderungen, dies über die CE-Kennzeichnung zu überwachen, eingegangen wird. Abschließend zum Thema rechtliche Grundlagen gibt Uwe Boysen einen Überblick über die Gesetzgebungsverfahren im Bereich der Justiz und die über die mit der Selbsthilfe bereits erreichten Meilensteine für blinde Juristen.

Der dritte Teil des Handbuches wird von Ulrike Peter mit einem Beitrag darüber eröffnet, wie Expert*innen in eigener Sache beteiligt werden können, ohne Systeme auf Einzelmeinungen hin zu optimieren:

„Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass nicht Einzelmeinungen eingeholt werden, sondern dass es eine fachliche Einordnung gibt, damit nicht auf die Nutzungsgewohnheiten von Einzelpersonen hin optimiert wird. Oft scheitert die Praxis jedoch daran, dass gerade nicht umfassend gedacht wird. Statt das große Ganze in den Blick zu nehmen, erscheint es einfacher, sich auf Einzelaspekte zu fokussieren. Was auf den ersten Blick pragmatisch und einfacher scheint, wird der Sache jedoch nicht gerecht.“

Dabei orientieren sich die Handlungshilfen im Handbuch an den folgenden Zugänglichkeitsbedarfen statt an Personengruppen:

„Neben diesen vier Prinzipien der Barrierefreiheit ist die Kenntnis der unterschiedlichen Zielgruppen und ihrer Bedarfe eine weitere Voraussetzung für ein gemeinsames Grundverständnis. Statt konkreter Personengruppen werden neun Zugänglichkeitsbedarfe (User Accessibility Needs) definiert (vgl. EN 301 549, Seiten 17−19), die abstrakt zu verstehen sind und in unterschiedlicher Kombination und Ausprägung auftreten:

  • Nutzung ohne Sehvermögen, d.h. blind,
  • Nutzung mit eingeschränktem Sehvermögen,
  • Nutzung ohne Farbwahrnehmung,
  • Nutzung ohne Hören, d.h. gehörlos bzw. taub,
  • Nutzung mit eingeschränktem Hörvermögen,
  • Nutzung ohne Sprachvermögen, d.h. ohne Lautsprache,
  • Nutzung mit eingeschränkter Handhabung oder Kraft,
  • Nutzung mit eingeschränkter Reichweite,
  • Verringerung von Anfallsauslösern bei Photosensibilität,
  • Nutzung mit kognitiven Einschränkungen.“

Um von den gesetzlichen Vorgaben zu einer Umsetzung in der Praxis zu kommen, kann zum Beispiel mit einer Selbstverpflichtung gearbeitet werden:

„Eine solche (Selbst-)Verpflichtung eines Code of Conduct zur Barrierefreiheit schafft den Rahmen, die gesetzlichen Vorgaben aktiv und auf allen Ebenen umzusetzen. Ganz praktisch bedeutet dies, dass die digitale Barrierefreiheit strukturell verankert wird, d.h.

  • als Ziel gesetzt und permanent mitgedacht wird,
  • Ressourcen entsprechend eingesetzt oder freigegeben werden,
  • hinsichtlich der Personalentwicklung das Thema über Schulungen gesetzt wird und
  • im Austausch und an konkreten Fragen aus der Praxis ein gemeinsames Grundverständnis (weiter-)entwickelt wird.“

Dabei verlieren die Autoren des Handbuchs auch nicht aus dem Blick, dass neben der technischen Barrierefreiheit das gesamte Arbeitsumfeld betrachtet werden muss.

„Mit den Informationen zu den Bedürfnissen des Mitarbeiters ist es möglich, die Barrieren am Arbeitsplatz zu erkennen und daraus die erforderlichen Bedarfe zu ermitteln. Diese können materiell, immateriell und organisatorisch sein.“

Diese Nutzerzentrierung findet sich auch im Onlinezugangsgesetz(OZG), das in diesem Zusammenhang im Handbuch erwähnt wird. Nur wenn die umgesetzten Dienste auch genutzt werden, sind diese erfolgreich. Daher enthält der zugrunde liegende Servicestandard auch Anforderungen an die Barrierefreiheit und muss in unterschiedlichen Nutzungsszenarien intuitiv bedienbar sein. Eine Bundesländerübergreifende Zusammenarbeit eröffnet hier Chancen zur Umsetzung des OZG, sofern die Nachhaltigkeit mitberücksichtigt wird:

„Da die Digitale Barrierefreiheit als kontinuierlicher Prozess anzusehen ist, ist mit der Veröffentlichung eines Angebots die Arbeit in diesem Bereich nicht beendet. Es muss also ein erklärtes Ziel sein, den Prozess der Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit auch nach einem Go-Live weiterhin zu begleiten und im Blick zu halten, um auf gegebenenfalls aufkommende Änderungen der Anforderungen reagieren zu können und die vorgesehene Barrierefreiheit auch weiterhin aufrecht zu erhalten.“

Um diese Nachhaltigkeit sicherzustellen, ist eine regelmäßige Überwachung der digitalen Angebote hilfreich. Dieses im Gesetz vorgesehene Monitoring wird im Handbuch beispielhaft aus der Perspektive der Überwachungsstelle Bayern beleuchtet.

Abschließend wird im dritten Teil des Handbuchs noch das Thema „Sprache als Barriere“ im Kontext von Leichter Sprache, einfacher Sprache, verständlicher Sprache, bürger*innenfreundlicher Sprache und dem Ansatz von VERSO, einer verständlichen Sprache für alle betrachtet.

Im vierten und letzten Teil des Handbuchs zur „Barrierefreiheit in der Praxis“ werden unter anderem folgende Themen behandelt:

  • Digitalassistenz zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in einem Beitrag von Prof. Herbert Kubicek,
  • Anregungen aus der inklusiven Technologieentwicklung mit einem partizipativen Ansatz in der Entwicklung am Beispiel des „Schneckenhauses“, einem Tool für den Büroalltag eines jungen Menschen mit einer psychischen Einschränkung,
  • Überlegungen zur Gebrauchstauglichkeit von Websites öffentlicher Verwaltungen,
  • Barrierefreie Dokumente in einem Beitrag von Kerstin Probiesch,
  • Barrieren bei der Online-Beteiligung und Gestaltung von Abläufen und Prozessen durch Entscheider*innen,
  • am Beispiel eines Content Management Systems (CMS) aufgezeigt wie das Wissen beim Dienstleister der Verwaltung zum Thema Barrierefreiheit zu festigen ist und bereits bei der Vergabe die nachhaltige Pflege der Websites durch ein restriktives CMS gefördert werden kann.

Das Handbuch bietet mithilfe der zahlreichen Autor*innen einen umfassenden, praxisnahen Überblick über die Herausforderungen bei der Umsetzung der digitalen Barrierefreiheit und liefert viele Ansatzpunkte das Thema in den eigenen anstehenden Projekten zu berücksichtigen.