Hintergrundwissen Overlay-Tools – Unterstützung oder Barriere beim Surfen im Web?
- Anspruch:
- Aufwand:
- Zielgruppe: Entwicklung
Anbieter von Overlay-Tools, häufig auch als „Assistenz-Software für Web-Oberflächen“ oder „Barrierefreiheitstools mit künstlicher Intelligenz“ bezeichnet, behaupten häufig, dass die Einbindung ihrer Tools die Barrierefreiheit von Webseiten verbessern würde. Ist dies tatsächlich so?
Der folgende Artikel gibt einen Einblick in Fragen wie:
- Welche Arten von Overlay-Tools gibt es aktuell?
- Gibt es Overlay-Tools, die für eine ganz bestimmte Zielgruppe die Barrierefreiheit verbessern?
- Welche Gründe sprechen aus Sicht eines Webseiten-Anbieters für oder gegen den Einsatz von Overlay-Tools?
- Spart der Einsatz Kosten, oder ergeben sich beim Einsatz auf längere Sicht Kosten, die sich hätten vermeiden lassen?
- Wer nutzt Overlay-Tools?
- Wo kann man Overlay-Tools im Einsatz sehen, um sich einen Eindruck von der Arbeitsweise zu verschaffen?
- Was ist zukünftig von dieser Technologie zu erwarten? Welche Fragen sind bisher in der Forschung über Overlay-Tools unbeantwortet geblieben?
Verschaffen Sie sich hier einen kompakten Überblick über das Thema „Overlay-Tools“!
Ein Overlay-Tool für Barrierefreiheit wird aktuell von verschiedenen Anbietern unterschiedlich definiert. Eine von einem Produkt beziehungsweise Software-Anbieter unabhängige Definition liefert das : Overlay Fact Sheet
Diese Definition ist sehr offen formuliert. Sie umfasst jegliche Art von Tools, die zum Ziel haben die Barrierefreiheit einer Webseite beziehungsweise eines Web-Angebots zu verbessern. Der dabei eingesetzte Programmcode enthält in der Regel JavaScript, um Verbesserungen in der Präsentation der Webseite zu erreichen.
Aufgrund der offenen Definition ist es sinnvoll weitere Kategorien von Overlay-Tools zu bilden, um sich einen Überblick über die verfügbaren Tools zu verschaffen:
- aufgrund der Bedienung bzw. der notwendigen Interaktion:
- Overlay-Tools, die automatische Verbesserungen ohne Interaktion mit den Nutzer*innen durchführen
- Overlay-Tools, die von Nutzer*innenn zunächst konfiguriert werden müssen oder bei denen aktiv Aktionen ausgewählt werden müssen
- eine Kombination aus beiden Varianten, bei der automatische Verbesserungen stattfinden, die zusätzlich konfiguriert werden können
- aufgrund des Zugriffs auf das Tool:
- Overlay-Tools, die installiert werden müssen und clientseitig laufen (universell beim Surfen einsetzbare Overlays)
- Overlay-Tools, die beim Webseiten- bzw. Tool-Anbieter installiert sind und serverseitig laufen (Kunden- bzw. Website-spezifisches Overlay)
- aufgrund der konkreten Umsetzungsform im Benutzeragenten, z.B. ein Overlay-Tool als:
- Toolbar
- Plugin
- App
- Widget
Einige Anbieter von Overlay-Tools behaupten, dass durch die Einbindung ihres Tools in die Webseiten Konformität mit den Barrierefreiheitsstandards hergestellt werden kann. Häufig werden hier die „Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)“ in der jeweils gültigen Version genannt, auf denen auch die deutsche Verordnung „Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV)“ beruht, die zusätzlich weitere Anforderungen in Bezug auf Informationen in Leichter Sprache und Deutscher Gebärdensprache enthält.
Nicht-konforme Webseiten automatisch reparieren
Dieses Versprechen der Tool-Anbieter klingt verlockend und verspricht eine Einsparung von Investitionen in die Qualifizierung oder Beauftragung von Barrierefreiheits-Expert*innen. Dieses Versprechen zu erfüllen ist jedoch technisch vollautomatisch nicht umsetzbar:
Konformität bedeutet, dass alle Anforderungen der Richtlinien erfüllt sein müssen. Um diese automatisch reparieren zu können, müssten die Overlay-Tools ein automatisches Testtool enthalten, das überhaupt erst einmal alle Barrieren automatisch findet. Das stellt dazu fest: World Wide Web Consortium (W3C)
Es ist also nicht möglich alle Barrieren automatisch ohne Interaktion mit Barrierefreiheits-Prüfer*innen bzw. Barrierefreiheits-Expert*innen zu finden.
Und selbst die Barrieren, die automatisch auffindbar sind, lassen sich nicht unbedingt sinnvoll automatisch reparieren. Als Beispiel sei hier die automatische Bilderkennung genannt, die für fehlende Alternativtexte von Bildern vielleicht technisch nutzbar wäre, aber nicht die Absicht der Autor*innen, die mit der Verwendung eines Bildes verknüpft waren, sinnvoll bei der Formulierung von Alternativtexten ersetzen kann.
Konforme Webseiten noch zugänglicher machen
Möglicherweise planen einige Webseiten-Anbieter den Einsatz eines Overlay-Tools auch für eine bereits mit den Webstandards für Barrierefreiheit konforme Webseite. Die Motivation hierfür könnte zum Beispiel sein, die Nutzung für Menschen mit Behinderungen über die in den Standards definierten Mindestanforderungen hinaus zu verbessern. Die Konformität mit den Standards stellt zwar sicher, dass viele Personen auf die Webseiten zugreifen können, schließt aber nicht aus, dass für einzelne Personen weiterhin Barrieren vorhanden sind.
In diesem Fall würde mithilfe des Overlay-Tools eine zu einer (fast) barrierefreien Webseite angeboten. Dies würde den Barrierefreiheits-Standards nicht entgegen stehen. Ein Beispiel dazu wäre für eine Webseite, die die Anforderungen für ausreichende Kontraste bereits erfüllt zusätzliche Versionen mit noch besseren Kontrastverhältnissen anzubieten. Alternativversion
Bei diesem Vorgehen sollte jedoch bedacht werden, dass:
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das Einbinden eines Overlay-Tools selbst neue Barrieren für Nutzer*innen von Hilfsmitteln schaffen kann, zum Beispiel für Screenreader-Nutzer*innen, siehe hierzu u.a. den Artikel von Steve Faulkner Bolt-on Accessibility – 5 gears in reverse
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das Overlay-Tools selbst barrierefrei bedienbar sein sollte, also die erfüllen sollte „User Agent Accessibility Guidelines (UAAG)“
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die Administration eines (serverseitigen) Overlay-Tools auf Anbieter-Seite von Administrator*innen mit Behinderungen barrierefrei möglich sein sollte, also die „Authoring Tool Accessibility Guidelines (ATAG)“ erfüllen sollte
Berücksichtigung anderer Standards
Die Arbeitsweise der eingesetzten Overlay-Tools sollte genau betrachtet werden. Dies betrifft sowohl Webseiten-Anbieter, die diese Tools bereitstellen, aber auch Arbeitgeber*innen, die möglicherweise clientseitige Tools am Arbeitsplatz eines Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung bereitstellen. Hierbei ist insbesondere die Gewährleistung des Datenschutz auf Basis der zu nennen. Weitere Betrachtungen hierzu sind im Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) zu finden. Overlay Fact Sheet
Trotz der Bedenken Overlay-Tools eher nicht einzusetzen, wie sie im zu finden sind, sind zahlreiche Overlay-Tools am Markt verfügbar und im Web im Einsatz. Im Folgenden finden Sie einen kleinen Überblick: Abschluss-Statement des Overlay Fact Sheets mit vielen Unterzeichner*innen
- Overlay-Tool „Eye-Able“ im Einsatz auf der Webseite:
(Stand: 01/2024). Figur-Icon am rechten oberen Bildschirmrand (überlagert die Webseite) oder per Tastenkombination „Alt + 1“ Stadt Essen - Overlay-Tool „AccessiBe“ im Einsatz auf der amerikanischen Webseite:
(Stand: 12/2021) Louisiana Department of Health - Overlay-Tool „EqualWeb“ im Einsatz auf der amerikanischen Webseite:
(Stand: 12/2021). Kleines Rollstuhl-Icon am linken oberen Bildrand zum Öffnen der Einstellungen. Southern Ohio Medical Center - Overlay-Tool „UserWay“ im Einsatz auf der Webseite:
(Stand: 12/2021). Kleines Rollstuhl-Icon am linken oberen Bildrand zum Öffnen der Einstellungen. Stadt Ravensburg - Overlay-Tool für Menschen mit Lernschwierigkeiten „EasyReading“
- Overlay-Tool „Readspeaker“ mit Text-To-Speech-Funktionalität im Einsatz auf der Webseite:
Netzwerk Inklusion mit Medien (nimm!)
Die ersten Overlay-Tools haben sich eher mit Themen wie Text-To-Speech-Funktionalitäten beschäftigt. Durch die Fortschritte im Bereich der KI hat sich der Funktionsumfang der Tools erweitert und damit auch die Hoffnung der Webseiten-Betreiber, eine „1-Klick-Lösung“ einzukaufen, die das Thema digitale Barrierefreiheit automatisch für sie löst.
Aktuelle Forschung zum Thema „Overlay-Tools“ ist bisher kaum verfügbar, es gibt aber unter anderem die folgende Masterarbeit:
- Masterthesis „Overlay-Tools als Unterstützung für barrierefreie Websites - Potenziale und Grenzen“
- Kurzzusammenfassung der Masterthesis als Video auf YouTube
In der Arbeit wird auf Basis des BITV-Tests von BIK für eine Stichprobe von drei Tools mithilfe einer Demoseite überprüft, was diese Overlay-Tools leisten können. Fragen, die hierbei offen bleiben und für deren Beantwortung weitere Forschung notwendig wäre, sind beispielsweise:
- welche Erfahrungen User mit Overlay-Tools gemacht haben, die Hilfsmittel wie Screenreader oder Bildschirmlupen einsetzen
- wie die jeweiligen Zielgruppen den Nutzen dieser Tools einschätzen, zum Beispiel ältere User, blinde User oder User mit Lernschwierigkeiten
- wie sich Overlay-Tools im Kontext von Accessibility-Trainings bzw. zum Aufzeigen von Barrieren für Webseiten-Anbieter eignen
Die grundsätzliche Idee, Mainstream-Technologie über in der Cloud gespeicherte Profile überall zugänglich zu machen, zum Beispiel am Arbeitsplatz oder bei der Nutzung von Automaten, findet sich in der wieder. Inwiefern Overlay-Tools oder eher andere Technologien geeignet sind, hierzu einen Beitrag zu leisten, wird sich in Zukunft zeigen. „Global Public Inclusive Infrastructure (GPII)“
Zu dem Schluss, dass Overlay-Tools aktuell noch keine ausreichende Lösung bieten, kommen auch die Überwachungsstellen des Bundes und der Länder für die Barrierefreiheit von Informationstechnik in ihrer gemeinsamen Einschätzung (Stand: Juli 2022):
Eine vergleichbare Einschätzung hat auch das „European Disability Forum(EDF)“ in einer gemeinsamen Stellungnahme (Stand: Mai 2023) mit der „International Association of Accessibility Professionals(IAAP)“ veröffentlicht. Darin wird unter anderem festgestellt, dass:
Der Einsatz neuer Technologien, wie KI, ist grundsätzlich zu begrüßen, um die Barrierefreiheit zu verbessern, sollte aber immer vorsichtig eingesetzt werden. Im Fall der Overlay-Tools bedeutet dies nach EDF und IAAP aktuell, diese besser nicht einzusetzen.